Oswald Metzger Laudatio
Herr Prof. Landfried,
lieber Bernhard Vogel,
lieber Friedrich Merz,
und vor allem: sehr verehrte Festgemeinde!
Ist es nicht schon ungewöhnlich, habe ich mich gefragt, als der Anruf von Bernhard Vogel vor einigen Monaten kam, daß ein grüner Politiker, der gar nicht mehr auf der parlamentarisch-politischen Bühne aktiv ist, ausgerechnet die Laudatio für einen der profiliertesten Politiker der Union halten soll. Aber ich habe mir gedacht, daß es vielleicht in der Biographie ein paar Parallelitäten gibt, die die Veranstalter dazu veranlaßt haben, zu sagen: Der soll mal reden, der ist auch einer, der gelegentlich mit seiner Partei im Clinch liegt, und deshalb nicht unbedingt da zum Zuge kommt, wo ihn manche haben möchten; wie Friedrich Merz, der an erster Stelle seiner Fraktion stand und aus bekannten Gründen dann 2002 im September von der heutigen Kanzlerin abgelöst wurde.
Das sind Dinge, die natürlich verbinden und die deutlich machen, daß bestimmte Qualitäten auf der politischen Bühne nicht automatisch zu entsprechenden Umsetzungen führen können. Und da bin ich mitten, das sage ich auch vor der Dolf Sternberger-Gesellschaft, bei einem Punkt, wo ich zunächst einmal eine kleine Rüge posthum an Dolf Sternberger aussprechen muß: Er hat nämlich am 9. November 1966 zusammen mit Richard Freudenberg in einem Aufruf zur Bildung einer großen Koalition aufgerufen, mit dem erklärten Ziel, das relative Mehrheitswahlrecht einzuführen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre ich nie auf der bundespolitischen Bühne in Erscheinung getreten - denn als Mitglied einer kleinen Partei wäre es mir dann so gegangen wie Dirk Niebel; wir hätten Probleme gehabt, überhaupt Abgeordnete ins Parlament zu bekommen. Es sei denn, die politische Agenda hätte sich anders entwickelt. Aber - Spaß beiseite - die Diskussion um die Stabilität der politischen Verhältnisse in unserem Land läuft ja immer wieder; wichtig ist, auf jeden Fall festzuhalten, dass Dolf Sternberger eine Persönlichkeit war, die in der politischen und publizistischen Öffentlichkeit Werte einer Bürgergesellschaft formuliert hat, nach denen heute mehr denn je gefragt wird.
Nun bin ich kein Kenner aller Schriften von Sternberger, sondern bemühe im Verlauf der Rede mehr einen Soziologen, der noch eineinhalb Generationen vorher zugange war, nämlich Max Weber . Ich habe bei den Vorbereitungen auf die heutige Laudatio gelesen, dass selbst Helmut Schmidt in seiner Rede als Preisträger 2000 Max Weber und Dolf Sternberger in einem Kontext zitiert hat. Daher bemühe ich lieber Max Weber, da dessen Büchlein "Politik als Beruf" während meiner achtjährigen Berliner Abgeordnetenzeit immer unter meinem Kopfkissen lag. Und wenn Sie nachlesen, was er im Revolutionswinter 1918-1919 vor Münchner Freistudenten an der Universität zu diesem Thema gesagt hat, dann merken Sie sofort, wo Beziehungspunkte auch zur Persönlichkeit des Friedrich Merz liegen.
Max Weber formuliert nämlich als Anforderungsprofil an den Politiker drei Kategorien: nämlich Leidenschaft, und zwar Leidenschaft zur Sache, nicht blinden Aktionismus, das Daherplappern tagespolitischer Moden - sondern ein Sich-Einlassen auf Zusammenhänge, die als richtig erkannt sind, und dabei lernfähig zu bleiben, ohne diese Linie bis zum bitteren Ende festzuhalten; zum zweiten fordert er ein Verantwortungsgefühl, eine ethisch fundierte Grundeinstellung zum politischen Geschäft; und zum dritten: Augenmaß.
Und wenn Sie diese drei Kategorien einmal messen an der Persönlichkeit eines Friedrich Merz, dann werden Sie feststellen: Er genügt in einem ganz erstaunlichen Ausmaß diesen Kategorien; als einer, der auf der politischen Bühne Erfolg hat, und zwar nicht nur auf der politischen Bühne des Parlaments als Mann der Wortgewaltigkeit und der Schlagfertigkeit, sondern auch als jemand, der beispielsweise glänzend reüssierte im letzten Wahlkampf in einer Marktführer-Talksendung am 28. August 2003. Ich habe es selbst gesehen, als der "Robin Hood aus dem Saarland" Oskar Lafontaine mit ihm allein bei Frau Christiansen saß und Friedrich Merz, der souverän und argumentativ blieb, diesen Spitzenpolitiker der jetzigen Linkspartei buchstäblich so alt aussehen ließ, dass ihn zum Schluss das Publikum gar der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Das war eine Sternstunde der souveränen Argumentation nicht im politisch-parlamentarischen Bereich, sondern auf dieser Talkshow-Bühne, von der Sie geredet haben, Herr Prorektor.
Gleichzeitig - die Anmerkung erlaube ich mir - ist natürlich die Talkshow-Republik nicht das Haushaltsparlament; obwohl auch Friedrich Merz nicht der Versuchung widerstehen konnte, im Juni 2003 in der 250. Sendung von Frau Christiansen fast im Überschwange flötend zu sagen: "Diese Sendung hat inzwischen mehr Bestimmungskraft für die politische Agenda in Deutschland als der deutsche Bundestag." Ich hoffe natürlich nicht, dass dies Ihr wirklicher Ernst, sondern eher dem Charme des Jubiläums geschuldet war, denn in der Tat - hätten wir im deutschen Bundestag mehr politische Köpfe wie Sie, auch Debattenredner wie Sie, dann wäre es mir nicht bange um die Qualität des Parlamentes: Denn Widerborstigkeit, auch das Beharren auf eigenen Rechten, gehört zum Wesensmerkmal des Parlaments. Auch Regierungsfraktionen müssen immer mal wieder ihrer eigenen Regierung, bei aller Loyalität, zeigen, dass das Parlament der Ort der Gesetzgebung ist und die Regierung nur eine geliehene Macht hat, keine verfassungsrechtlich festgelegte.
Schlagfertig sind Sie natürlich auch, das ist bekannt. Und als charmant empfand ich in Ihrer so genannten Abschiedsrede, die ich nur am Bildschirm verfolgt habe am 23. November 2004, in der Haushaltsdebatte des Etats 2005, die Situation, als der damalige Bundestagsvizepräsident Herrmann Otto Solms , Sie aufrief und aus Versehen dabei den Bundesfinanzminister als ersten Redner benannte. Sie gingen dann vor und haben unter dem Gelächter vor allem Ihrer eigenen Leute, aber auch mancher aus der Opposition, gesagt: "Ich möchte mit manchem verwechselt werden, aber nicht mit jedem!" Damit war natürlich das Entree gegeben zu einer Rede, in der Sie Fähigkeiten aufblitzen ließen, die Sie ja auch reichlich besitzen: Sie sind ein Mann, der auch mit Polemik umgehen kann, nach meiner Erfahrung - wir hatten uns ja auch zu meiner aktiven Zeit gelegentlich in Finanzdebatten direkt duelliert - aber nie unter der Gürtellinie; sie sind jemand, der mit dem Florett fechtet, und nicht mit dem Schwert. Das ist eine Kategorie und Eigenschaft, die dazugehört - zu einem Diskurs, der aufrüttelt, der polarisiert, der profiliert, der aber schlussendlich nicht verletzend ist, sondern immer daran denkt, dass man zu jedem Zeitpunkt, auch in einer parlamentarischen Demokratie, sich wiederbegegnen kann und womöglich dann miteinander zusammenarbeiten muss. Das entdeckt Ihre Partei ja zurzeit mit ihrem 40-jährigen Erzfeind "Sozialdemokratie" - man muss plötzlich innerhalb weniger Wochen lernen, zu schmusen statt zu konkurrieren.
Wenn ich noch einmal in diesem Zusammenhang auf Max Weber rekurrieren darf: Max Weber sagt in dem schon erwähnten Vortrag in München - auch als Mahnung an uns alle, dass der ärgste - "der Todfeind", so drückt er sich aus - des Politikers die Eitelkeit ist. Er führt aus, dass Eitelkeit etwas eigentlich sehr normales sei, so auch im Wissenschaftsbetrieb, eine "Berufskrankheit" auch der Wissenschaftler; dort störe es aber nicht weiter, da der Wissenschaftsbetrieb trotz aller Eitelkeiten weitergeht. In der Politik aber, verbunden mit dem gesellschaftlichen Machtanspruch, führe diese Eitelkeit, die mangelnde Distanz zu sich selbst, diese fatale Konkurrenzsituation, dazu, dass Menschen sich selber nur noch an der "Performance" berauschen und nicht mehr aus Leidenschaft an der Sache für bestimmte Inhalte streiten.
Und überlegen Sie sich: Das alles hat er 1918/19 gesagt, und Sie können es über die heutige tagespolitische Agenda unserer Republik legen! Erinnern Sie sich an die letzte Wahlkampfzeit, als der "Professor aus Heidelberg", Herr Kirchhoff, auf eine unglaubliche Art und Weise drei Wochen lang als "unsozial" stigmatisiert wurde, obwohl die gleichen Leute Jahre vorher immer gerufen haben: "Der teuerste Verfassungsrichter!" Denn gerade er hatte mit seinen politischen Entscheidungen dazu beigetragen, dass die Ausgaben des Bundes für Familienleistungen sich in den letzten 12 Jahren mehr als verdreifacht hatten. Oder erinnern Sie sich daran, wie sein Steuerrecht praktisch zerredet wurde - auf eine noch brutalere Art und Weise, als das Konzept von Ihnen, Herr Merz, das im Herbst 2003 von Ihrer Partei mit riesigen Mehrheiten beschlossen worden war und dann in zwischenparteilichen Auseinandersetzungen mit der CSU so zerlegt wurde, dass Sie im Oktober 2004 für sich selbst die Konsequenzen gezogen und gesagt haben: Ich steige aus allen meinen Ämtern zum Jahresende 2004 aus. Es war ein konsequenter persönlicher Schritt, den ich gut nachvollziehen kann, aber gleichzeitig ist es natürlich so: Wenn Sie Leidenschaft an der Sache haben, so wie Kirchhoff, oder wie auch ich es in Bezug auf Staatsverschuldung und Steuerrecht für mich selbst in Anspruch nehme, dann müssen wir alle daran interessiert sein, dass wir in der Gesellschaft etwas vorantreiben. Schauen Sie sich an, was jetzt auf der steuerpolitischen Agenda im Volk für Bedürfnisse bestehen, und was auf der offiziellen politischen Agenda steht. Da sind wir keinen Schritt vorangekommen, im Gegenteil: Mit dem Vervespern von Mehrwertsteuervolumen für normale Haushaltsfinanzierung fällt jetzt selbst ein großer Trumpf der Umfinanzierung - direkte Steuern senken und dafür Verbrauchssteuern erhöhen - weg für vernünftige Steuerreformen, und damit haben wir buchstäblich und objektiv an der steuerpolitischen Front verloren; obwohl in der Bevölkerung viele Multiplikatoren nach wie vor auf ein solches Steuerkonzept setzen.
Sie haben es damals in diese oft kritisierte Bildsprache übersetzt: Eine Steuererklärung in einem Land wie Deutschland muss auf einen Bierdeckel passen! Das war eine erstklassige Metapher für die Sehnsucht der Leute nach Vereinfachung. Und wenn gesagt wird, das ist Phantasmagorie, wenn jemand sagt, man kann ein kompliziertes Gestrüpp wie das Steuerrecht so vereinfachen, dass es tatsächlich auf einen Bierdeckel passt, dann stehen die steuerberatenden Berufe in der Ablehnung natürlich an vorderster Front, da sie meinen, sie würden bei einem so entkomplizierten Steuerrecht kein Geschäft mehr machen. Doch das Gegenteil wäre der Fall; auch sie hätten genügend Aufgaben in unserer Gesellschaft. Immerhin - der kleine Schweizer Kanton Appenzell-Ausserrhoden hat in der politischen Debatte zur Einführung eines neuen Steuerrechts im Jahre 2006 sich auf genau das Bierdeckel-Argument des Friedrich Merz berufen. Das habe ich übrigens gestern erst festgestellt - denn als in der Schweiz Geborener schaut man ja doch gelegentlich auf die Geburtsheimat - dass tatsächlich zur Zeit eine politische Debatte in diesem kleinen Schweizer Kanton stattfindet, einem Kanton, der ansonsten gelegentlich aus meiner persönlichen grünen Sicht unangenehm aufgefallen ist, da er Frauen ganz lange das Wahlrecht verwehrt hat: Es war meines Wissens einer der letzten Kantone, der diesen emanzipatorischen Fortschritt noch nicht bewältigt hatte, und es brauchte zwei oder drei Anläufe, um dies endlich im Jahre 1989 hinzubekommen.
Vielleicht vor dem Hintergrund dieser Spannungsgeladenheit der Persönlichkeiten, die in diesem Raum sitzen, vor allem der des Preisträgers, möchte ich noch ein paar Überlegungen anstellen über die Problematik einer parlamentarischen Demokratie, die sehr stark auf Parteien fußt, und deren Personalauswahl. Wie kommt es, dass bestimmte Persönlichkeiten, die eigentlich das Zeug zu Regierungsaufgaben hätten, in bestimmten Konstellationen nicht reüssieren können? Obwohl sie in der Öffentlichkeit als fachkompetente Persönlichkeiten dastehen, werden sie in ihren Parteien relativ problematisch gesehen. Jetzt könnte ich natürlich das alte Bonmot bedienen: Feind - Todfeind - Parteifreund. Ein bisschen drückt sich darin der Jahrmarkt der politischen Eitelkeiten im Geschäft aus, dass Leute, die nach außen hin glänzen können, im eigenen Lager wenig Resonanz und Unterstützung finden.
Wobei das in Ihrem Fall, Herr Merz, ich möchte hier nicht falsch verstanden werden, weniger ein Problem der Quantität, sondern der Qualität des Widerstandspotentials in der eigenen Partei ist: Je höher der Widerstand, desto schwieriger ist es natürlich, dagegen anzukommen. Wenn es nach den Mitgliedern ginge, wären sie in der neuen Regierung sicher in Amt und Würden, an entsprechender Stelle. Aber dem ist nicht so, ich will's nicht weiter austragen, Laudatoren sollten sich mit zu deutlichen Anspielungen auch zurückhalten, obwohl - als Grüner kann ich natürlich ein bisschen frecher sein als ein schwarzer oder liberaler Laudator.
Trotzdem ist es ein Phänomen, dass in unserer Gesellschaft Persönlichkeiten in der Politik rar gesät sind. Ich habe beim letzten Jahreswechsel, während der Weihnachtstage zu Phoenix zappend, wo man noch alte Fernsehdebatten aus der Zeit des Schwarzweiß-Fernsehens nachsehen kann - teilweise große Debatten - mich selbst wieder bei dem Gedanken ertappt, dass ich zur falschen Zeit im Parlament war. Damals haben die Leute noch diskutiert, überwiegend frei gesprochen; nicht vorgelesen, was ihnen Referenten aufgetragen haben, sondern es fand wirklich eine argumentative Auseinandersetzung unter Leuten statt, die noch durch ein Leben jenseits der Berufspolitik geprägt waren.
Heute haben wir Apparatschiks in allen Parteien, groß geworden nur in den Milieus der Parteien. Sie haben nur gelernt, wie man in Parteien hochkommt, seine Machtbastionen sichert, seine Seilschaften absichert. Sie verkaufen jeden Tag ein anderes Thema, weil sie keine Linie mehr haben - ich überzeichne jetzt, natürlich gibt es auch andere, aber das Gros wird geprägt durch dieses Mittelmaß! Die Parlamente dilettantisieren in einem extremen Ausmaß.
Das ist zum Nachteil einer Mediengesellschaft, die, wenn sie sich als parlamentarische Demokratie versteht, darauf angewiesen ist, dass diejenigen, die vorne in der Demokratie stehen und beispielsweise Gesetzgebung machen, mit ihrer Vorbildfunktion und mit ihren Qualitäten als Persönlichkeit die Menschen mitnehmen. Durch das Ausbluten von Persönlichkeiten, die Dinge beim Namen nennen können, die deutlich formulieren können, die argumentieren können, ergibt sich das Problem, dass wir als politische Klasse das Volk immer weniger mitnehmen und überzeugen können. Diese Distanz zur Politik ist in einem Ausmaß gewachsen und die Bindungen an Vorbilder auf der politischen Bühne in einem Ausmaß geschwunden, dass dem Hohn spricht, was wir in unserem Land eigentlich bräuchten.
Ich gehe davon aus, dass Sie, Friedrich Merz, auch zu dem Thema der ökonomischen Situation dieses Landes reden werden - wir bräuchten die Vorbildwirkung der Politik, um unser Land und unsere Bevölkerung in einer parlamentarischen Demokratie auf dem Weg der Veränderung mitzunehmen, auf dem Weg des Abschieds von einem Wohlfahrtsstaat, einer Neuorientierung hin zu mehr Eigenverantwortung, zu mehr Subsidiarität auch in sozialen Netzwerken des Staates. Genau dafür brauchen wir Persönlichkeiten, die dies vorleben!
Jetzt sage ich ein paar Beispiele, einfach so, wie ich es auch die letzten 10 Jahre als Politiker immer wieder getan habe: Wir brauchen uns im deutschen Bundestags nicht unterhalten über eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit (die inhaltlich richtig ist, damit sie mich nicht falsch verstehen!), wenn nicht gleichzeitig die Privilegien unseres eigenen Berufsstandes im Abgeordneten- und im Ministergesetz sofort kassiert werden in diesem Zusammenhang. Wir werden keine Debatte führen können über die Verlängerung der Lebensarbeitszeit ohne gleichzeitige Änderung dieser Gesetze!
Und wir werden auch die klassische vertraute Beamtenversorgung und Besoldung so nicht lassen können. Das sage ich auch in einer Alma Mater, wo ich weiß, dass im Lehrkörper viele Personen Berufsbeamte sind und deshalb die Segnungen dieses Status auch genießen können, aber man kann auch in Universitäten mehr verdienen als Angestellter mit an die Leistung gekoppelten Verträgen, wie es andere Staaten auf dieser Welt vormachen. Insofern hat es auch nichts mit Futterneid gegenüber dem Einkommen zu tun, sondern es hat etwas mit Redlichkeit zu tun - angesichts der gigantischen Staatsverschuldung und dem Ausbluten der öffentlichen Haushalte.
Denn wir wissen, wie viel Geld in unserem Land beispielsweise in den Landeshaushalten heute für die Versorgungen früher verbeamteter Mitarbeiter aufgewandt wird. Es sei noch ein weiteres kleines Faktum eingestreut, obwohl viele der Anwesenden hier es bereits wissen mögen: In den 70er Jahren, als eine sozialliberale Koalition in Bonn am Rhein regierte, wuchs innerhalb dieses einen Jahrzehntes zwischen 1970 und 1980 die Staatsquote stärker als in den Jahren nach der Wiedervereinigung! 1980 hatten wir 50 % Staatsquote. Die Resultante dieser hohen Staatsquote ernten die Landeshaushalte aber erst heute, in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts. Die geburtenstarken Jahrgänge, die damals verbeamtet wurden - allein die Zahl der Beamten im Schuldienst der Länder hatte sich in einem Jahrzehnt verdreifacht - gehen jetzt in den Ruhestand und tragen dazu bei, dass die Personalhaushalte der Bundesländer aus dem Ruder laufen.
Vorsorge wurde nie getroffen - Leidenschaft für die Sache gab es offensichtlich nie in den Parlamenten, wenn es um die Versorgung des öffentlichen Dienstes ging. Sonst hätte man ein buchhalterisch-kaufmännisches Rechnungswesen eingeführt, Rückstellungen für die Pensionen ausgewiesen und festgestellt, dass das Berufsbeamtentum nicht billiger ist als vergleichbare Angestellte, sondern teurer. Das hat man nicht gemacht und heute stehen wir vor dem Scherbenhaufen dieser impliziten Verschuldung, der Lastenverschiebung an künftige Generationen.
Ein Begriff übrigens, der in der Rhetorik, in der Argumentation des Friedrich Merz immer wieder seit vielen Jahren vorkommt, was die wirtschaftliche Seite betrifft. Und hier muss ich im Sinne eines Pflichtprogramms als grüner Politiker auch sagen: Wenn der den Begriff "Nachhaltigkeit", den er in der Finanz- und Wirtschaftspolitik verwendet, gelegentlich auch bei ökologischen Themen aufblitzen ließe - grüne Gentechnik und Atompolitik, dann wäre ich natürlich noch ein bisschen zufriedener.
Darum müsste ich vielleicht auch einmal sagen: Der Friedrich Merz ist ein vernünftiger Mann - so wie Sie es letztes Jahr mal in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt haben: der Metzger ist ein Vernünftiger, das ist ein Ordnungspolitiker, der könnte auch bei uns sein, aber die Grünen brauchen ihn nötiger - so könnte ich es auch umkehren und an Sie adressieren!
Verbunden mit der Ansage, dass wir für den schwierigen Umstrukturierungsprozess andere Persönlichkeiten vom Schlage eines Friedrich Merz in vielen Parteien bräuchten, vielleicht auch noch ein paar Überlegungen dazu, wie man dies auch formal ändern könnte. Ich glaube, wir sollten das, was in Nordrhein-Westfalen im März letzten Jahres in der Besoldung der Abgeordneten umgesetzt wurde, auch im Bundestag umsetzen: Weg mit der sehr hohen Alimentierung für den Ruhestand, hin zu einer ordentlichen Bezahlung des aktiven Dienstes mit eigener Vorsorge der Abgeordneten für ihre spätere Rente und Pension.
Denn unser Problem ist nicht, dass wir zu gut bezahlt sind als aktive Abgeordnete, sondern unser Problem ist: Wir sind hyper-gut versorgt; ich bekäme nach acht Jahren Parlamentszugehörigkeit nach dem damals für mich geltenden Recht, wenn ich jetzt 65 wäre, knapp 2400 EUR monatliche Pension. Dies ohne eigene Beiträge zu zahlen, und nach nur acht Jahren! Das ist obszön gut, das können Sie selbst gut verdienenden Menschen in der Gesellschaft - schlecht verdienenden erst recht nicht - nicht erklären. Sie können auch nicht erklären, dass Sie als Abgeordneter mit 55 Jahren in den Ruhestand gehen können, wenn Sie früh genug eingestiegen sind: Wenn Sie mit 32 Jahren eingestiegen sind, können Sie mit 55 Jahren, vollen Pensionsbezügen und ohne Hinzuverdienstgrenzen aus dem Parlament ausscheiden. Das geht nicht!
Daher: Eine andere Entschädigung für Abgeordnete und - das allein genügt natürlich nicht, um die Zusammensetzung des Parlaments ein bisschen weiter weg vom Ort des öffentlichen Dienstes wegzuentwickeln - es gehört auch dazu, dass das Wahlrecht weniger stark parteienlastig wird.
Ich bin im Konvent für Deutschland in einer "Elder Statesmen"-Gruppe , in der ich vom Alter her vielleicht etwas aus dem Rahmen falle. Roman Herzog ist Vorsitzender, Henning Voscherau, Klaus von Dohnanyi und Otto Graf Lambsdorff sind auch unter anderem dabei. Wir diskutieren seit den letzten 6 bis 8 Monaten, wie wir auf die geplante Verlängerung der Legislaturperiode des Bundestags reagieren, die prinzipiell richtig ist: Dass man auf der Gegenseite vielleicht auch ein paar plebiszitäre Momente stärkt, zum Beispiel Volksinitiativen möglich macht in Deutschland. Oder dass man möglicherweise, so wie es in Bayern bei Landtagswahlen möglich ist, auch das Prinzip der starren Liste auflöst, indem die Leute auf den Personallisten der Parteien das Personal auch ein bisschen verändern dürfen, beispielsweise durch Kumulieren.
Diese Regelung würde Persönlichkeiten wie Ihnen - auch wenn Sie Ihren Wahlkreis in aller Regel ohnehin gewinnen - und mir, das sage ich in aller Unbescheidenheit, aber auch vielen anderen Leuten helfen, diese Abhängigkeit, diese Kleinkariertheit, die manchmal in den Parteien vorhanden ist, gewissermaßen aufzuknacken. Wir brauchen mehr Mut zur Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger; und dies wäre ein weiterer Beitrag neben der anderen Finanzierung der Abgeordneten, dass wir für das Personal der Politik Köpfe bekommen würden, die vielleicht im besten Sinne von Max Weber Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmaß miteinander verbinden.
Ihnen, Herr Merz, bescheinige ich diese Fähigkeiten. Ich glaube auch, dass Sie viele Freunde in dieser Republik quer durch alle Lager haben, die Sie im Geschäft und im Gespräch halten wollen. Den Preis heute haben Sie ganz sicher nicht bekommen, um Sie im Gespräch zu halten, sondern aus substantiellen Gründen. Aber Sie werden auch dieses Jahr, da kommt ein bisschen die ironische Distanz zur eigenen Persönlichkeit durch, den Orden wider den tierischen Ernst in Aachen kriegen. Und der spielt natürlich, mit Laudatio und Gegenrede, vor breitem Fernsehpublikum, was dann wieder einen Tropfen auf den Stein darstellt, dass Leute wie Sie in diesem Land weiterhin im Geschäft bleiben! Dazu wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Glück.
Danke!
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